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  • Der Gießener Anwalts-Blog

Risiko Erbschaft! Geldregen oder Schuldenberg? Annahmefrist ist zu kurz.

GIESSEN Erbfälle gibt es täglich. Dabei werden stark zunehmend immer größere Vermögen vererbt - ebenso häufig aber auch nur Schulden. Dabei sind dem Erben der Nachlass und insbesondere etwaig noch offene Forderungen unbekannt.

Dennoch muss der Erbe, der von seiner Erbschaft erfährt, nach § 1944 BGB – von einer Ausnahme abgesehen, innerhalb von nur sechs Wochen entscheiden, ob er die Erbschaft annimmt oder nicht. Die Frist in der genannten Vorschrift ist extrem kurz, eine Verlängerungsmöglichkeit gibt es nicht. Der Gießener Fachanwalt für Erbrecht fordert eine Reform.

Die Erbschaftssteuerreform, die gerade vom Gesetzgeber überarbeitet werden muss, ist nicht die einzige Vorschrift, die dringend den heutigen Erfordernissen angepasst werden muss, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht Jens Wiegand. Beim Thema Erbrecht ein Experte.

Herr Wiegand, Sie sagen, die in § 1944 BGB gesetzte Frist ist deutlich zu kurz. Warum?

RA J. Wiegand: Die starke Zunahme privaten Vermögens ist zwar erfreulich, sie führt aber auch dazu, dass die Vermögenswerte zunehmend komplexer sind. Nachdem das private Vermögen früher überwiegend aus dem Einfamilienhaus, dem Auto und ggf. noch einer Münzsammlung bestand, werden heute zunehmend Vermögen hinterlassen, die neben dem herkömmlichen Vermögen breit gestreut aus Immobilien, Unternehmensbeteiligungen, Aktien oder mittelständische Gewerbebetriebe bestehen. Hier in nur sechs Wochen tragfähige und belastbare Informationen zu den einzelnen Werten zu erhalten, ist schlichtweg ausgeschlossen. Erst recht, wenn der Erbe ein Angehöriger des Erblassers ist und sich nach einem Erbfall, neben der emotionalen Belastung, zunächst mit anderen Fragen zu Beerdigung und dergleichen zu befassen hat. Da sind die ersten vierzehn Tage schon mal schnell vergangen.

Wann beginnt die Frist zu laufen?
RA J. Wiegand: Das perfide an der Frist ist, dass sie nicht erst zu laufen beginnt, wenn der Erbe, etwa durch Mitteilung des Nachlassgerichts, von der Frist Kenntnis erlangt. Die Frist beginnt vielmehr zu laufen, mit Kenntnis des erben der die Erbschaft begründenden Tatsachen. Beispielsweise bei Kindern des Erblassers heißt das sie müssen lediglich wissen, dass sie ein Kinde Erblassers sind und dieser verstorben ist. Die Frist beginnt dann also bereits in dem Moment, wenn das Kind von dem Tode des Elternteils erfährt und ist nicht aufzuhalten.
Welche Folgen hat der Ablauf der Frist?
RA J. Wiegand: Weitreichende. Der Erbe muss innerhalb der sechs Wochen entscheiden, ob er die Erbschaft annimmt oder sie eben ausschlägt. Schlägt er sie nicht ausdrücklich durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht aus, gilt sie als unwiderruflich angenommen. Es ist dann egal, ob der Nachlass werthaltig oder völlig überschuldet ist. Das Nachlassvermögen geht dann, soweit nicht in einem Testament anders angeordnet, voll und ganz in das private Vermögen des erben auf, d.h. das ursprüngliche Vermögen des Erben und das geerbte Vermögen verschmelzen, und damit auch etwaige Schulden. Die Gläubiger des Erblassers können sich also fortan direkt an den Erben und dessen Vermögen schadlos halten, egal ob das Vermögen ererbt oder privat erwirtschaftet wurde. Das kann katastrophale Folgen für den Erben haben.
Gibt es Ausnahmen?
RA J. Wiegand: Natürlich. Auch wenn ich die Erbschaft aus Unwissenheit durch Verstreichen der Ausschlagungsfrist angenommen habe und nun erfahre, dass der Nachlass völlig überschuldet ist, kann ich die Annahme anfechten. Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten, auch nachträglich die Haftung auf das Nachlassvermögen zu begrenzen – etwa durch ein Nachlassverzeichnis oder einer Nachlassinsolvenz.
Aber auch diese Instrumente bringen nicht unerheblichen Aufwand und Risiken mit sich, die letztlich nur als Notfallinstrument angewendet werden sollten. Wegen der für heutige Verhältnisse viel zu kurzen Annahmefrist des § 1944 BGB müssen sie aber dennoch immer häufiger genutzt werden um „zu retten was zu retten ist“.
Welcher rechtspolitische Gedanke steckt eigentlich hinter der sechswöchigen Annahmefrist?
RA J. Wiegand: Insbesondere die Gläubiger sollen innerhalb von kurzer Zeit Klarheit über den Rechtsnachfolger haben, um ihre Forderungen zeitnah geltend machen zu können. Rechtspolitisch nicht gewollt, häufig aber die Folge ist jedoch, dass Gläubiger des Erblassers durch die Vermischung des privaten Vermögens des Erben und der Erbschaft einen neuen potenteren Schuldner an die Hand bekommt, als es der Erblasser war.
Sie meinen also es sei dem Gläubiger durchaus zumutbar etwas länger zu warten?
RA J. Wiegand: Durchaus. Wenn man bedenkt, wie lange sich heutzutage Insolvenzverfahren hinziehen oder wie steinig und zeitaufwändig die rechtliche Durchsetzung einer Forderung gegen einen Schuldner ist, ist die Frist des § 1944 BGB geradezu lächerlich kurz und nicht einmal aus Sicht des Gläubigers geboten.
Warum ist der Gesetzgeber nicht längst tätig geworden?
RA J. Wiegand: Der Gesetzgeber hat bei Änderungen des Erbrechts häufiger Steuerprivilegien im Auge, um vermeintlich für Gleichberechtigung bei der Besteuerung kleiner oder großer Vermögen bzw. der Art des Vermögens zu schaffen. Die Frist des § 1944 BGB hat niemand so richtig im Auge, der nicht täglich mit deren Problemen und Folgen zu tun hat. Dies ist der Hintergrund warum ich dieses Thema immer häufiger kommuniziere.
Welche Frist halten Sie für angemessen?
RA J. Wiegand: Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten die zu Diskussion stehen. Zum einen könnte man die Frist einfach um weitere Wochen oder besser Monate verlängern. Alternativ könnte man dem potentiellen Erben aber auch die Möglichkeit an die Hand geben, auf begründeten Antrag etwa die ein oder mehrfache Verlängerung der Frist zu beantragen, wobei hier darzulegen wäre, warum eine vollständige Erfassung des Nachlassbestandes innerhalb der sechswöchigen Frist nicht möglich ist. Denkbar wäre auch eine Fristenstaffelung, etwa abhängig von der Art des ererbten Vermögens, ob also Geldvermögen Immobilienvermögen oder ein Gewerbe in den Nachlass fallen. Soweit Sie mich nach einer konkreten Frist fragen, halte ich drei Monate im Regelfall für angemessen – idealerweise mit Verlängerungsoption.
Sie sagen, es bräuchte dringend eine Novelle, der Paragraf müsste geändert werden. Was konkret?
RA J. Wiegand: Der Absatz eins müsste entsprechend geändert werden und zusätzlich mit einem weiteren Halbsatz ergänzt werden, in dem eine Verlängerungsoption geregelt wird. Absatz zwei sollte insbesondere für den Fristbeginn des gesetzlichen Erben klarer gesegelt werden, denn die meisten gesetzlichen Erben sind sich nach dem Tod einer nahestehenden Person nicht darüber bewusst, dass die Frist, soweit sie überhaupt bekannt ist, bereits zu laufen begonnen hat. Hier sollte noch ein weiteres „Umstandselement“ eingefügt werden.

Hinweis: Dieser Artikel erschien im Original im Nov. 2015 auf Anwalt.de